Teilchenbeschleuniger LHC am CERN erfolgreich gestartet: Aufbruch in ein neues Forschungszeitalter auch für Mainz

Physiker an der Uni Mainz verfolgten gespannt die ersten Teilchenstrahlen im Large Hadron Collider und deren Signale im ATLAS-Experiment


Am 10. September startete der Large Hadron Collider (LHC) am europäischen Zentrum für Teilchenphysik (CERN) in Genf. Der LHC ist der weltweit leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger, von dem die Wissenschaft neue und vielleicht auch völlig überraschende Erkenntnisse über den Aufbau der Materie und die Entstehung des Universums erwartet.

Teilchenphysiker der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sind seit über zehn Jahren aktiv an dem Projekt beteiligt und verfolgten die Inbetriebnahme vor Ort in Genf sowie am Institut für Physik in Mainz. Im Mainzer Café Kleinknecht hatte die Arbeitsgruppe Experimentelle Teilchen- und Astroteilchenphysik (ETAP) für Institutsangehörige und Interessierte eine Live-Übertragung aus den Kontrollräumen des LHC und der Experimente organisiert.

Um 10.30 Uhr konnte ein Teilchenstrahl erfolgreich im Uhrzeigersinn den gesamten Umfang mit einer Länge von 27 km durchlaufen und passierte hierbei auch das ATLAS-Experiment. Gegen 15 Uhr gelang auch der Umlauf in der entgegengesetzen Richtung. In der folgenden Nacht konnten zudem Protonen für rund 300 Umläufe im Speicherring gehalten werden.



Das ATLAS-Experiment konnte bereits erste Signale aufzeichnen, hierbei trat auch die von Mainzer Physikern entscheidend mitentwickelte und gebaute Elektronik des Triggersystems in Aktion: Das erste überhaupt von ATLAS aufgezeichnete Ereignis wurde durch den so genannten Kalorimeter-Trigger aufgrund der hohen deponierten Energien im Detektor ausgewählt. Dieser Erfolg basiert auch auf der jahrelangen gründlichen Vorbereitung der Mainzer Physiker, zusammen mit allen Kollegen im ATLAS-Experiment. Ziel dieses Experiments ist, die bei den Zusammenstößen von Protonen, also Wasserstoffkernen, entstehenden Teilchen festzustellen und präzise zu vermessen. Das ATLAS-Experiment ist eines von vier großen Nachweisgeräten am LHC und wurde in einer internationalen, aus über 2200 Physikern aus 37 Ländern bestehenden Kollaboration aufgebaut.

Die Mainzer Wissenschaftler hoffen, dass es noch vor der offiziellen Einweihung des LHC am 21. Oktober 2008 zu ersten Kollisionen kommt. Noch dieses Jahr sollen Energien erreicht werden, die schon fünfmal höher sind als bisher in anderen Beschleunigern. Für das ATLAS-Experiment beginnt dann der spannende Teil einer auf viele Jahre angelegten Messkampagne, in der die Mainzer Gruppe sich überwiegend der Analyse und Interpretation der aufgezeichneten Daten widmen wird. "Das Standard-Modell der Teilchenphysik ist in der Lage, viele bekannte Phänomene im Mikrokosmos zu beschreiben, wirft aber auch mehrere offene Fragen auf", erklärt Tapprogge. "Diese Lücken wollen wir mit Hilfe des ATLAS-Experiments schließen und hoffen darüber hinaus auf Ergebnisse, die über unser heutiges Wissen weit hinausgehen." Das Rätsel, woher die Teilchen ihre Masse haben zum Beispiel, könnte mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens gelöst werden.

Am LHC und seinen Experimenten haben 10.000 Wissenschaftler und Ingenieure aus 85 Ländern über 10 Jahre lang gearbeitet. Der Tunnel verläuft in einer Tiefe von 50 bis 150 Metern zwischen dem französischen Jura und dem Genfer See in der Schweiz. Die Protonenpakete werden in dem 27 Kilometer langen Ring auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und dabei bisher nicht erreichte Energien erlangen. Um die Protonen auf der Kreisbahn zu halten, wird ein Magnetfeld benötigt, das 100.000-mal so stark ist wie das unserer Erde. Im Beschleuniger wird dieses von über 1200 supraleitenden Dipolmagneten erzeugt, die auf -271 Grad Celsius abgekühlt wurden; tiefer als die mittlere Temperatur im Universum, die bei rund -270 Grad Celsius liegt.